LeseZeichen 2019
Lesezeichen 2019
Mit diesem einzigartigen Kulturprojekt hier bei uns in Hildesheim holen wir die Kunst der Lyrik zwischen verstaubten Buchdeckeln hervor und setzen sie ins Freie, ins Offene – mitten in der Stadt. Über 180 Lesezeichen von 37 Autoren aus aller Welt an 56 verschiedenen Standorten in Hildesheim verwandeln Straßen und Plätze von Mai bis Oktober 2019 zu Orten der Poesie.
Heimat ist der Ort, an den die Seele immer wieder zurückkehrt. Einerseits ist da die Sehnsucht nach Freiheit und andererseits die nach Zugehörigkeit. In einem Gedicht treffen alle Ebenen des Daseins aufeinander, genau darin liegt sein Geheimnis, man könnte auch sagen sein Götterfunken.
Menü
Programm
Grußwort des Oberbürgermeisters Dr. Ingo Meyer
Der Begriff „Heimat“ versinnbildlicht für die meisten Menschen den Ort, in dem sie leben oder in dem sie aufgewachsen sind. Einige definieren auch mehrere Orte als Heimat und andere wiederum müssen gar vom Verlust ihrer Heimat berichten. Und dann gibt es jene, die weniger Orte, als vielmehr Menschen oder Situationen, vielleicht auch Gerüche oder Melodien als ihre Heimat bezeichnen.
Wie auch immer wir Heimat defi nieren, meist fühlen wir uns tief mit ihr verbunden. Die aktuellen „Lesezeichen“ nehmen sich diesen unterschiedlichen Heimatbegriffen an. Überall in der Stadt, an Bushaltestellen oder am Bahnhof, an Kirchen oder in der Fußgängerzone, können wir sie entdecken. Dabei nehmen wir die Zitate oft nur beiläufig, im Vorbeigehen wahr oder studieren sie auch intensiver, weil sie uns innehalten lassen. Die entstandenen Texte vermitteln uns Heimat als „einen kurzen glücklichen Augenblick“ und sind so individuell wie die Menschen, die sie geschrieben haben.
Niedrigschwellig nennt man Kultur, die ohne großen Aufwand und kostenfrei zur Verfügung steht. Das Team des Forums-Literaturbüro e.V. entwickelt mit innovativen Projekten wie „Hildesheimer Lesezeichen“ oder der „Literatur-Apotheke“ eben solche Formate. Wenn dieser offene Zugang die Hildesheimerinnen und Hildesheimer sowie die Gäste unserer schönen Stadt dar-über hinaus animiert, sich näher – passiv oder auch aktiv – mit den vielfältigen Formen der Literatur zu befassen, ist dies umso erfreulicher. Denn bekanntlich ist unsere Stadt per se auch Heimat für Literatur. Dank renommierter kulturwissenschaftlicher Studiengänge der Universität, des hieraus entstandenen Hildesheimer Literaturhauses und junger Formate wie dem Festival „Prosanova“ und der Zeitschrift „BELLA triste“. Und eben auch dank der „Lesezeichen“ der Literaturapotheke, die die Schreib- oder Leseerfahrung fördert und damit auch die Kreativität von Hildesheimerinnen und Hildesheimern sichtbar macht.
Ich danke allen Beteiligten, die an diesem Projekt mitgewirkt haben und wünsche viel Freude am literarischen Austausch.
Mit herzlichen Grüßen
Alle Texte 2019
Street flower
Am straßenrand blüht eine malve
eine knospe ist beinahe offen
altrosa wird sie sein
vielleicht schon morgen
Hätt ich geduld
ich würde warten
hätt ich aufmerksamkeit
ich rührte mich nicht vom fleck
hätt ich frömmigkeit
hier würde ich niederknien
Vielleicht schon morgen
könnt ich sehen nicht nur glauben
wie es einem mitgeschöpf gelingt
am straßenrand zum blühen zu kommen
Dorothee Sölle
Ein feigenbaum
Noch trägt unser baum keine früchte
noch schieben wir heimatlose ab
arbeiterinnen lassen wir nicht arbeiten
noch liefern wir folterern
was immer sie brauchen können
und schnüren den ärmsten die kehle zu
daß auch ihr schrei uns nicht stört
noch wartet gott vergeblich
noch liegt unsere zeit in den händen der mächtigen
sie leiten gift in die flüsse
amüsantes in unsern bildschirm
schwermetalle in unser essen
und angst in unser herz
noch schreien wir nicht laut genug
wie lange noch gott
wie lange willst du dir das noch ansehn
ohne ihn umzuhaun deinen feigenbaum
noch haben wir nicht gelernt umzukehren
noch weinen wir selten
noch
Dorothee Sölle
Wie wenig nütze ich bin
Wie wenig nütze ich bin,
ich hebe den Finger und hinterlasse
nicht den kleinsten Strich
in der Luft.
Die Zeit verwischt mein Gesicht,
sie hat schon begonnen.
Hinter meinen Schritten im Staub
wäscht Regen die Straße blank
wie eine Hausfrau.
Ich war hier.
Ich gehe vorüber
ohne Spur.
Die Ulmen am Weg
winken mir zu wie ich komme,
grün blau goldener Gruß,
und vergessen mich,
eh ich vorbei bin.
Ich gehe vorüber –
aber ich lasse vielleicht
den kleinen Ton meiner Stimme,
mein Lachen und meine Tränen
und auch den Gruß der Bäume am Abend
auf einem Stückchen Papier.
Und im Vorbeigehn;
ganz absichtslos,
zünde ich die ein oder andere
Laterne an
in den Herzen am Wegrand.
Hilde Domin
Auf Wolkenbürgschaft
Ich habe Heimweh nach einem Land
in dem ich niemals war,
wo alle Bäume und Blumen
mich kennen,
in das ich niemals geh,
doch wo sich die Wolken
meiner
genau erinnern,
ein Fremder, der sich
in keinem Zuhause
ausweinen kann.
Ich fahre
nach Insel ohne Hafen,
ich werfe die Schlüssel ins Meer
gleich bei der Ausfahrt.
Ich komme nirgends an.
Mein Segen ist wie ein Spinnweb im Wind,
aber es reißt nicht.
Und jenseits des Horizonts,
wo die großen Vögel
am Ende ihres Flugs
die Schwingen in der Sonne trocknen,
liegt ein Erdteil
wo sie mich aufnehmen müssen,
ohne Pass,
auf Wolkenbürgschaft.
Hilde Domin
Herr der Töpfe und Pfannen
Herr der Töpfe und Pfannen,
ich habe keine Zeit, eine Heilige zu sein
und dir zum Wohlgefallen
in der Nacht zu wachen.
Mache mich zu einer Heiligen,
indem ich Mahlzeiten zubereite
und Teller wasche.
Kannst du meinen Spüllappen
als einen Geigenbogen gelten lassen,
der himmlische Harmonie
hervorbringt auf einer Pfanne?
Herr der Töpfe und Pfannen,
bitte darf ich dir
anstatt gewonnener Seelen
die Ermüdung anbieten,
die mich ankommt
beim Anblick von angebrannten Gemüsetöpfen?
Erinnere mich: dass mein
vollendet gedeckter Tisch
ein Gebet werde.
Teresa von Avila zugeschrieben
Ich bin traurig …
Deine Küsse dunkeln, auf meinem Mund.
Du hast mich nicht mehr lieb.
Und wie du kamst – !
Blau vor Paradies.
Um deinen süßesten Brunnen
Gaukelte mein Herz.
Nun will ich es schminken,
Wie Freudenmädchen
Die welke Rose ihrer Lende röten.
Unsere Augen sind halb geschlossen,
Wie sterbende Himmel –
Alt ist der Mond geworden.
Die Nacht wird nicht mehr wach.
Du erinnerst dich meiner kaum.
Wo soll ich mit meinem Herzen hin?
Else Lasker-Schüler
An den Prinzen Benjamin
Wenn du sprichst,
wacht mein buntes Herz auf.
Alle Vögel üben sich
Auf deinen Lippen.
Immerblau streut deine Stimme
Über den Weg;
Wo du erzählst wird Himmel.
Deine Worte sind auf Lied geformt,
Ich traure, wenn du schweigst.
Singen hängt überall an dir –
Wie du wohl träumen magst?
Else Lasker-Schüler
Besänftigung
Aus seinen steinblauen Augen
Stürzen Schmetterlinge den lieben
Langen Sonntag den Gott werden lässt.
Seit ich ihn kenne, halte ich Gott für
Nicht völlig undenkbar. Wenigstens keinen
Aus Gold- oder Seidenpapier
Noch springt meine Seele
Auf Fingerkuppen.
Sarah Kirsch
Erklär mir, Liebe
Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat’s Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprache ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen –
Erklär mir, Liebe!
Ingeborg Bachmann
Alle Tage
Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfern fern. Der Schwache
ist in die Feuerzone gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über den Herzen.
Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsicher geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.
Er wird verliehen,
für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.
Ingeborg Bachmann
Gibt es eine weibliche Ästhetik
Ich sehe deine Augen
mit den hängenden
Lidern am Kinn
Fettfalten die Stirn
gefurcht deine
dünnen spitzen
Ohren überm fahlen
Haar die
kahle Stelle
am Hinterkopf ich
denke du bist
von allen Männern
der schönste.
Ulla Hahn
Lebte ich nicht
Lebte ich nicht in einem bedrohten Land
das, von Tod umgeben uns Leben gibt.
Glaubte ich nicht an die Kraft der Gedanken,
meinte gar, sie seien nur nützlich
als Turnübungen fürs Hirn.
Erwachte ich nicht jeden Morgen
mit etwas weniger,
etwas, das nicht mehr da ist:
– die Seife, die Glühbirnen, die Milch -,
und wüsste ich nicht, dass ich mir in Zukunft
sogar das Licht werde erfinden müssen
und zufrieden zurückkehren
zum Einfachen und Guten,
das in jedem Haus ist,
in jedem Herzen.
Schritte ich nicht täglich
auf des Messers Schneide, das die Wolken
des Himmels von der Hölle trennt
und wäre eine Frau aus Leinen in einem gebügelten,
entwickelten Land,
angefüllt mit all dem was hier uns fehlt …
Gewiss
wäre ich an dir vorübergegangen,
ich hätte dich nicht gesehen,
du hättest mich nicht gesehen.
Gewiss ist,
weder du
noch ich
säßen jetzt hier,
schauten uns an,
berührten uns
und streichelten
wie ein Kind
die Zeit.
Gioconda Belli
Seit Monaten schon, mein Kind
hab‘ ich dich nicht gesehen,
seit Monaten hab‘ ich dich nicht
warm in den Schlaf gewiegt,
seit Monaten sprechen wir nur über Telefon
miteinander,
Ferngespräche , da müssen wir schnell reden,
wie erklär‘ ich dir, Liebling,
mit zweieinhalb Jahren, was eine Revolution ist?
Wie sage ich dir, viele Menschen sind im Gefängnis;
in den Bergen zerreißt das Leid ganze Dörfer;
andere Kinder gibt’s, die nie mehr die Stimme der
Mutter hören?
Wie erklär‘ ich dir, dass es manchmal notwendig ist
sich zu trennen,
weil der Kreis sich schließt
und man die Heimat, das Haus und die Kinder
verlassen muss
bis wer weiß wann
(und doch vertrauen wir auf den Sieg),
wie erklär‘ ich dir, dass das Land, das wir schaffen,
für dich ist,
wie erklär‘ ich dir diesen ganzen Krieg
gegen das Leid, gegen den Tod,
gegen die Ungerechtigkeit?
Wie erklär‘ ich dir so,
so viele Dinge,
mein kleines Mädchen?
Gioconda Belli
[die Farbe markiert die Teile I. bis IV. – Banner á 100 x 100 cm – für die Lesemauer]
Noch bist du da
Wirf deine Angst
In die Luft
Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends
Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da
Sei was du bist
Gib was du hast
Rose Ausländer
Gebirgsrand
Denn was täte ich,
wenn die Jäger nicht wären, meine Träume,
die am Morgen
auf der Rückseite der Gebirge
niedersteigen, im Schatten.
Ilse Aichinger
Hab keine Angst vor dem Winter
hab‘ keine angst vor dem winter
die schiffe für deine sehnsucht
liegen schon im hafen bereit
hab‘ keine angst vor dem abschied
aus den erinnerungen lässt sich
doch bauen ein warmes haus
hab‘ keine angst vor der reise
du nimmst ja alle lieder mit
und die sind zum tagen
hab‘ gar keine angst
die seele weiß unbeirrt ihre richtung
und ihre flügel sind furchtlos und stark
Helena Aeschbacher-Sinecká
Mutter
Stark war sie nicht
Nicht unerschütterlich
Nicht ohne Angst
Lachen konnte sie
Mit ihr wusste ich
Wo es langgeht
Wie es weitergeht
Was wichtig ist
Was richtig
Dass es gut wird
30 Jahre lang hatte ich sie:
Die wichtigste Frau meines Lebens
Am Ende
(sie war 60, ihr Haar noch nicht grau)
Brauchte sie
Meine Kraft
Meine Fröhlichkeit
Meine hilflose Hoffnung
Gerne hätte ich ihr Altwerden gesehen
Es hätte ihr gut gestanden
Stark war sie nicht
Aber ihr Erbe ist mächtig
Die Freude am Leben
Gabriele Hartlieb
Auferstehung
Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.
Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Psalmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.
Marie Luise Kaschnitz
Lied im Exil
(für Susanna)
Es war einmal: da schenkten dem Gedicht
die Komponisten weitre Dimensionen.
Gehör gesellte sich zur Sicht.
Das deutsche Lied: es ward geehrt in allen Zonen.
Es war dereinst: auch ich, berauscht von Ton und Worten,
hört der Liebe Botschaft auf Gesanges Flügeln,
sang begeistert mit an allen Orten
und wusste kaum das Hochgefühl zu zügeln.
Dann war’s nicht mehr: das Hochgefühl getilgt von dem Brutalen
Bach, Goethe, Strauß gelöscht von Mordgeschrei,
statt Freude nur noch Traurigkeit und Qualen.
Es war einmal. Es war vorbei.
Es kam fast wieder: doch wie durch einen Schleier,
gedämpfte Freude nur und nie ein Hochgefühl.
Es spielte milder nun die Leier,
das deutsche Lied: es ward zum Schattenspiel.
Es kehrt’ zurück: Du kamst aus Deutschland, Du, die Meine.
Die Töne klingen wieder ohne Dissonanz.
Schubert liebkost ein Gedicht von Heinrich Heine.
Wort, Ton und Du erfüllen mich mit ihrem Glanz.
Guy Stern
Nicht wirklich Hoffnung
Nicht mehr wirklich Liebe,
aber auch noch keine Gleichgültigkeit,
eher gewohnheitsmäßige Fürsorge
mit genervtem Augenrollen,
Steilfalte auf der Stirn und herben Mundwinkeln.
Nicht mehr wirklich Gespräche,
aber auch noch kein Schweigen,
eher banales Alltagsgewisper
mit Worten, die aneinander vorbeigehen
aus Mündern, die sich nicht mehr küssen.
Nicht mehr wirklich lebendig,
aber auch noch nicht unter der Erde,
eher resigniert in der ewigen Warteschleife
auf bessere Zeiten, mit einem Rest Hoffnung
in der Erinnerung an vergangene Zweisamkeit.
Brave Beziehungs-Zinnsoldaten
mit eingebläutem Durchhaltevermögen,
hart und kampfbereit,
ausharrend im vertrauten Frust.
Schwere dunkle Vögel, erdnah,
die anderen traurig beim Fliegen zusehen.
Susanna Piontek
Kröten schlucken II
Ich frage mich, ob da ein Brief kam, vom Krankenhaus oder vom Stiefvater. Von Nachbarn. Mutter am achten Mai 1945 im StadtKrankenhaus Bautzen verstorben. Und wie Julius, einen kleinen Koffer packt und einige Papiere einsteckt. Aber nicht den Wehrpass, denn er ist ja entlassen. Wie er Urlaub beantragt oder noch gar nicht wieder arbeitet. Wie er seinem Chef sagt, er müsse nach Bautzen. In das Krankenhaus oder in den Trümmern der Stadt seine Mutter suchen oder beerdigen, das Nötige veranlassen, identifizieren. Und der Chef wortlos nickt. Und er dann zum Bahnhof geht und prüft, ob noch oder wieder ein Zug fährt. Nach Bautzen. Die breiten, leergeräumten Straßen zum Bahnhof geht, Trümmerstaub in den Augen. Er sich nicht zurecht findet, den Weg nicht mehr erkennt, oder kenntnisreich über Trümmerberge steigt. Über Leichen. Bis er am Bahnhof ist. Vor dem keine Häuser mehr stehen. Da aber nichts fährt und er vielleicht zu Fuß oder doch ein Stück mit irgendeinem Zug und dann zu Fuß oder ob er sich nur nachts durch die Wälder oder mit einem Flüchtlingstreck. Ob es gar nicht auffiel, da so viele unterwegs waren, weg von den brennenden Städten, weg vor den Russen, einfach weg und weg und weiter. Und ob er Oma Hilde einen Kuss auf die Wange und gesagt hat, in einer Woche bin ich wieder zurück. Er aber fast vier Wochen braucht, überhaupt vorwärts zu kommen und ich merke, wie ich mir das nicht vorstellen kann. Wie hart und unerbittlich ich mir das damals anhörte, was Hilde erzählte. Vom Krieg und vom Hunger und von Julius Mutter im Massengrab und dass Julius damals in Bautzen geblieben war und mich das nichts anging und ich die merkwürdigen Fotos betrachtete, die aus Zeiten stammten, die Jahrhunderte zurücklagen, so sahen sie aus. Und ich Hilde etwas vom Krieg erzählte, so wie wir ihn in der Schule gelernt hatten. Aber hat Hilde nicht gesagt, Opas Mutter ist damals in Dresden umgekommen. Hilde hat immer gesagt: UMGEKOMMEN und in einem Massengrab. Und in Dresden. Ums Leben gekommen. Aber nun in Bautzen. Im Krankenhaus. So steht es in der Sterbeurkunde. Hat man das ganze Krankenhaus evakuiert. Nach dem Angriff auf Dresden, am 13. oder 14. oder 15. Februar fünfundvierzig. Oder vorher schon. Wollte man Leben retten. Auslagern. Ausgerechnet nach Bautzen.Und wie Julius dann in Bautzen ankam und keine Orientierung hatte und keine Ahnung, wo das Krankenhaus und er wieder über Trümmer, durch rauchende Straßen, weil es hier noch im letzten Moment ganz furchtbare Kämpfe und wie er hungrig und müde und mit dem Köfferchen und einigen Papieren in der Brusttasche, vorbeieilende Hohlgesichter mit Handwagen oder einem Bündel im Arm, fragte, wo hier das Krankenhaus und dann irgendwann die Stelle fand, wo einst das Krankenhaus und ein Oberarzt im weißen Kittel, mit den Händen im Schutt, fragte nach dem Sterben seiner Mutter und dieser ihn ansah, als wäre er nicht von dieser Welt und dann vielleicht ein LKW hielt oder ein kleineres Militärfahrzeug und fünf Sowjetsoldaten ausstiegen und ihn erst freundlich anlächelten, dann aber Papiere sehen wollten, sich die Papiere der Reihe nach ansahen, erst der erste Soldat oder Offizier, dann der zweite, der dritte und dann einer von ihnen ein Zeichen gab und sie ihn, rechts, links unter die Arme griffen, den Koffer aus der Hand schlugen, in der vielleicht Hildes Stullenpaket oder die Brotbüchse, wie Julius dabei seine Brille verlor und so schnell nicht denken konnte, nicht reden, wie das alles geschah und wenn er redete, die Offiziere ihn auch nicht verstanden oder verstehen wollten oder einer sagte, was denn macht ein Mann mit vierunddreißig Jahren aus Magdeburg in Bautzen und sie vielleicht sagten, du Nazi oder Spion oder was auch immer und er hinten auf die Pritsche, wo schon andere saßen und oder in den kleinen Wagen, eingeklemmt zwischen den Sowjetsoldaten, sie ihm aber keine Suppe herunter – oder herreichten, wie ich es in der Schule gelernt habe, sondern Handschellen und ihn ins Lager brachten.
Andrea Temme
Autor: Andrea Temme (54 Jahre)
Motivation zum Schreiben, was bringt den Autor zum literarischen Schaffen: Vergangenheit und Gegenwart, Ost/West verstehen (wollen/können)
Regal und Schublade: Unsagbares – Erste Hilfe – Romane und Erzählungen
sprachlos
ich zupfe fäden vom saum des schweigens
faden für faden
löse ich das wortgeflecht
meine fahrigen finger
haschen nach dem ungesagten
fingerkuppen ertasten keine botschaft
nur lieblos geknüpfte knoten
im mustergrau
das schiffchen
liegt
vergessen
Anita Prugger
Durst
Im Zwielicht der Krankenhaus-Nacht tasten
deine Hände im Vakuum,
kalt sind sie mit dichtem Venengeflecht,
beide Sicherheitsgitter hochgeklappt
wie im Kinderbett
Durst, sagst du immer wieder,
ich bin so durstig.
Du wirst zum Mund
alle Vitalität in den Lippen
dein ganzer Körper saugt
der weisse Strohhalm wie eine Plastik-
Nabel-Schnur zum letzten Ozean.
Jetzt habe ich soviel Geduld,
sonst immer im Kopf der Zeit voraus
jetzt sitze ich still,
auf dem Gerüst vor dem Fenster
hämmern die Handwerker:
ihr Alltag ist so fest,
hier drinnen bröckelt alle Beständigkeit:
dein Atem röchelnd wie unter Wasser
deine Brust ein gefangener Fisch
schwingt im Kelp-Wald
die letzten Lichtfinger einer fernen
Sonne greifen dich
und dann lassen sie los.
Hans Jorg Stahlschmidt
ohne gewicht
die tage gehen
ohne gewicht
hin und wieder verbrennt
mohn in den gärten
hin und wieder löscht
der winter wiesen und wege
in den nächten wandere ich
durch das dunkle gestrüpp der zimmer
in der küche die großmutter
reicht mir milch
die schmeckt nach vanille und butt
sie hütet die brüder wie lämmer
spinnt wolle zu fäden
die wärmen und halten die welt
in der stube die mutter
weht durch die türen wie schnee
deckt alles zu
den frühling
den sommer
den vater
der schläft nicht weit
in den zweigen der zeder
ich öffne das fenster
gegen morgen
hör ich ihn singen
Ingeborg Brenne-Markner
Mir war
als ließ der Augenblick
mich wunderlich beherrscht
in bodenlose Ferne fallen
dorthin
wo keine Worte kein Empfinden
folgen
wo alle Augen schwarz
und alle Ohren still
dorthin
wo kein Gedanke
meinen Abschied stört
Doch blieb mein Fallen
nicht ganz unbemerkt
Auf einem Floß
mit blau und grünen Segeln
dessen Ruder Hände waren
kam ich zurück
dorthin
wo mein Vergessen
gerade erst begonnen hatte
Wenn ich nur wüsste
wie es möglich war
in dieser Tiefe noch
nach mir zu greifen
Karl Johann Müller
Autor: Karl Johann Müller (57 Jahre)
Motivation zum Schreiben, was bringt den Autor zum literarischen Schaffen: Die Freude daran, die Wortgrenzen zu weiten.
Regal und Schublade: Über Grenzen – Erste Hilfe – Gedichte
Es ist alles gesagt
Es ist alles gesagt.
Es ist alles schon gesagt worden.
Wir sind anders.
Wir sind der Anfang. Wir denken die Gedanken zuerst, von denen andere später behaupten, sie wären ihrem eigenen Gehirn entsprungen. Und es glauben.
Eine Illusion.
Wir schreiben Texte, die wissen, was sie sind und was sie wollen. Mit Titeln, die das unverkennbar wiederspiegeln.
Wir sind anders.
Wir sollen anders sein.
Man drängt uns den Drang auf, der Anfang zu sein. Gedanken zuerst zu haben, zu glauben, sie wären unserem eigenen Gehirn entsprungen.
Man nennt sie Individualität, die Illusion, nach der man uns zu streben drängt.
Leben gestalten. Dein Ding machen. Du selbst sein.
Veganismus. Frutarismus. Omnisexualität.
Boom der Alternativen. Alternative Fakten, Alternative für Deutschland, alternative. 21th Century. Das Zeitalter der Möglichkeiten.
Einundzwanzigtausend Möglichkeiten, anders zu sein.
Anti-Mainstream-Mainstream.
Allroundtoleranz.
Die Hoffnung, wenigstens die Suche nach dem einen Gedanken, den noch keiner gedacht hat, wenigstens die Reflexion über die Illusion Individualität wäre individuell.
Individuell illusorisch.
Wir wollen anders sein.
Wir wollen Texte schreiben, die etwas wollen. Die etwas sagen, was noch keiner gesagt hat. Und weil unsere Texte das nicht können, bauen wir [eck]ige Klammern ein; Semikolons, wo keine hingehören, ignorieren großundkleinschreibung und ortografische Normen.
Syntax-Boykott.
Interpretationsresistente Ellipse wird Gedicht.
Wir verkaufen unsere seltsam gedruckte Prosa als Lyrik.
Enjambement statt Reim.
Anti-Mainstream.
Wir alle.
Anti-Mainstream-Mainstream.
Wir wollen anders sein, um jeden Preis.
Wer sind wir? Die Generation Z.
Milena Reinecke
Autor: Milena Reinecke (16 Jahre)
Motivation zum Schreiben, was bringt den Autor zum literarischen Schaffen: Eines schönen Tages las ich eine Anthologie, die vor Semikolons, eckigen Klammern und anderen scheinbar kunst- oder wirkungsvollen Elementen strotzte, woraufhin ich das Bedürfnis hatte, mich ebenso kryptisch zu diesem generationstypischen Individualitätszwang zu äußern – und zu dem schriftstellerischen Problem, das schon alles gesagt ist.
Regal und Schublade: Unsagbares – Placebo – Philosophisches
Zerfließende Grenzen
Von deinen Lippen
fallen Wünsche aus Papier
die Bettkante hinunter
schwankend rastet ein Hauch auf meiner Haut
und singt ahnungslos bis wir die Zeit versiebt haben
auf den Grund
wo Gedachtes unzerkaut bleibt
und wenn der Tag die Krümel aus Gold
vor meiner Tür vergessen hat
und ein Falter an meinem Fenster unsere Wünsche einsammelt
dann verschwimmt die Melodie
unter deinen Händen
Der Raum ist nur noch eine Parabel
eine Flut aus wirrem Haar
eine Orgie von geheimnisverschmierten Mündern
zergehend
über uns.
Rebecca Schettler
Autor: Rebecca Schettler (22 Jahre)
Motivation zum Schreiben, was bringt den Autor zum literarischen Schaffen: In meiner Lyrik ist es mir wichtig die Dinge in eine Form zu bringen, die mich und die Menschen um mich, den Zeitgeist, bewegen. Es geht darum zu sagen, was gesagt werden muss und die innere Wahrnehmung in Worte und Sprache zu fassen, den Moment zu manifestieren.
Regal und Schublade: Über Grenzen – Placebo – Gedichte
Papierflieger
Wohin ich mich schweige,
an den wunschlosen Tagen,
wenn mein Blick an Apfelbäumen hängt
und sich meine Sehnsucht
in der Junisonne häutet.
Aus meinen Worten bin ich ausgezogen,
sage ich,
sie wurden zu eng
für mein Erinnern,
das aus Rissen im Boden drang.
Ich baute mir ein Haus
aus vergessenen Sommern.
Ein Kind sitzt am Fenster
und faltet Papierflieger.
Beladen mit rotem Klee
taumeln sie
gen Morgen.
Sigune Schnabel
Autor: Sigune Schnabel (35 Jahre)
Motivation zum Schreiben, was bringt den Autor zum literarischen Schaffen: Ein Versuch, über die Grenzen des Unsagbaren zu blicken und das Unbegreifbare zu verstehen.
Regal und Schublade: Glück und Zeit – Balsam – Gedichte
Wir üben Futur
Wir üben Futur
du wirst
ich werde
wir werden
nichts scheint gewiss
aber jede Woche zur gleichen Zeit
schöpfen wir Mut aus dem Meer der Sprache
so tief
Wir formen Laute
ein ü
ein br
ein sch
die fremde Sprache auf deinen Lippen
erwärmt sich langsam
im Atemstrom wohnt
Geduld
Wir buchstabieren Freundschaft
mit F wie Frieden
und R wie Respekt
und E wie endlich
und unendlich gleich nebenan
dahinter bleibt Raum für die Sehnsucht
und ganz am Ende
ein Traum
Wir lesen Geschichten
so Wort
an Wort
an Wort
entspinnt sich ein Faden
entspannt sich die Seele
ein Knoten ist plötzlich
gelöst
Wir üben Futur
du wirst
ich werde
wir werden
nichts scheint gewiss
aber jede Woche zur gleichen Zeit
setzen wir Segel auf dem Meer der Hoffnung
so weiß
(Susanne Brandt)
Winterrose
Der Frost hat alle Farben
längst verblassen lassen.
Sie aber
packt verschwenderisch ihr Purpur aus,
öffnet bei Schneegestöber noch ihr Knospenhaus.
Und blüht.
Die Kälte ist den Bäumen
bis ins Mark gekrochen.
Sie aber
lockt von innen zarte Kraft hervor,
stimmt nicht mit ein in den Es-geht-zu-Ende-Chor.
Und glüht.
Das Dunkel greift beharrlich
nach den Tagesstunden.
Sie aber
wirft der Welt ihr helles Lachen zu,
entzündet kleine Funken für ein Rendezvous.
Und sprüht.
Susanne Brandt
Die Bäckerin
Es ist wie
Menschen machen
flüstert sie manchmal morgens
in der vierten Stunde
wenn der Tag ein oder aus oder die
Nacht abbricht
und sie ihre Hände im Teig versenkt
ihn knetet schlägt oder
zärtlich zwischen den Fingern
hindurch quellen lässt
Dann formt sie Laibe
dunkle und helle
flüstert Beschwörungen sagt
Hefsalzzuckerundmehl sagt
meine Kinder sagt meine
Freunde sagt du mein Liebes
ehe sie ihnen mit dem Messer
jenen kleinen Schmerz
zufügt der sie
nach dem Backen
unverwechselbar macht
Jeden Tag ist es
lieben murmelt sie
schlägt das Mehl von
den Händen und die eiserne
Ofentür zu
Jeden Tag ein
Kommen und Gehen
ein Her und ein Hin ein
Hefsalzzuckerundmehl
Und inmitten: eine kleine rundliche
Göttin die als einzigen Schmuck
Schweißperlen trägt
auf der Stirn
Undine Materini
Sprachfenster
Durch einen Fensterspalt
der Sprachmauer
werf‘ ich mein Netz
ins Buchstabenmeer
und warte auf einen Lichtfang
in der dunklen Nacht.
Annakutty Valiamangalam
Wir fallen durch diese Tage
Wir fallen durch diese Tage
als bräuchten sie uns nicht
Ziehen helle Atemschleifen
aus mundwarmen Worten
Falten unsre Lippen im Flug
Die Zungen werden uns kalt
Wir schweigen weiße Inseln
in die Zeit
und träumen
von tönernen Tagen
die wir in Herzöfen brennen
von Tagen, die uns forttragen
Maja Loewe
An Gwaihir
Frag mich nicht,
warum ich die Brücke zerstörte.
Bring mich hinüber.
Mein Hass ist mir heute schon fremd.
Ich möchte wenigstens einmal
drüben gewesen sein.
Maria Harbich-Engels
Brief an Herrn B.
Sehr geehrter Herr B.,
in ein paar Tagen ist Mittsommer. In Norwegen schichtet man jetzt Feuerholz auf und bereitet sich vor auf die kürzeste Nacht des Jahres, den längsten Tag, bevor sich der Lauf der Sonne wendet.
Ich schaue hinaus in die Dunkelheit und denke an unser Gespräch. Vielleicht sucht jeder Mensch ein ganzes Leben lang nach Worten, die Zuflucht geben, die eine Brücke in die Luft buchstabieren über den Abgründen, ein paar Sicherungsanker einschlagen an den steilen Wänden, die einen Halt bieten in der Haltlosigkeit, der selbstverschuldeten und der zugemuteten.
Ich bin nicht sicher, ob ich sie gefunden habe, noch ob sie sich überhaupt ganz finden lassen in dem beschränkten Raum unserer Sprache, und doch habe ich bisweilen ihr Wispern vernommen, ein leises Echo vielleicht, das noch in das tiefste Innere hinein zu klingen vermag.
Das ist bei mir angekommen, dass das Leben ein wunderbares, unfassbares, zärtliches Geschenk ist und so, einfach weil es ist, weil es uns aus Liebe wollte und schuf, uns hervorbringen ließ, wie wir sind und mit allen Stärken und Schwächen uns zutraute zu sein, dass dieses Leben eine eigene Tragkraft hat, auf die wir uns verlassen dürfen.
Es ist dies ein dunkles Geheimnis, dass uns Leid widerfährt, in Krankheit und Schmerz, in Kummer und Sorgen, in Verzweiflung und Schwäche, dass Freude und Glück , dass Geborgenheit und alles Leichtsein uns so sehr abhandenkommen können, als wollten sie sich nie mehr finden lassen.
Und das ist das Wunder, dass das Leben und die Liebe doch verborgen auf uns warten, uns halten wollen und tragen bis wir, vielleicht gezeichnet, wieder eine unvermutete Spur finden, die ins Licht führt und in die Weite, die uns einmal wieder leicht sein lässt.
Vielleicht können Sie dies in Ihrer Angst und Traurigkeit nicht sehen. Bitte werfen Sie die Worte trotzdem einstweilen nicht fort. Sie stehen in aller Unzulänglichkeit ja doch für eine größere Wahrheit, die auch Ihnen gilt, gerade jetzt, jetzt gerade!
Über meinem Nachdenken ist es Nacht geworden. Ich hoffe, Sie schlafen gut, und morgen ist ein neuer Tag.
Steffen Glathe
Romeo und Julia in Jugendsprache
- Akt, 5. Szene (Auszug)
Übersetzung von Diana, Katy,Tiziano, Alessandro und Leon
Eine Party in der Villa Capulet. Alle feiern.
Capulet: Was ist los mit dir?
Tybalt: Ein Montague macht sich an deine Gäste ran!
Capulet: Meinst du Romeo?
Tybalt: Ja, genau den Dulli meine ich!
Capulet: Bleib ruhig und lass ihn feiern! Ich will heute keinen Stress!
Tybalt: Aber ich kann ihn nicht ab.
Capulet: Damit musst du klar kommen!
Tybalt: Der regt mich aber voll auf!
Capulet: Ich hab keinen Bock mehr, mit Dir zu diskutieren!
Du lässt ihn heute in Ruhe!
Übersetzung von Lilia, Sarah, Lara, Gino, Megan und Lisa-Maria
Romeo (geht zu Julia und nimmt ihre Hand) : Du bist so wunderchön,
am liebsten würde ich dich küssen.
Julia: Nein, Fremder, ein Handkuss würde mir erst mal genügen.
Romeo: Bin ich nicht attraktiv genug für dich?
Julia: Doch, ich finde dich attraktiv, aber das geht mir zu schnell!
Romeo (küsst sie einfach)
Julia (drückt ihn leicht weg): Warum hast du das gemacht?
Romeo: Weil du mir gefällst! (Er küsst sie wieder)
Julia: Du küsst gut!
Wärterin: Deine Mutter will mit dir reden!
Romeo: Wer ist denn ihre Mutter?
Wärterin: Na, die Chefin des Hauses! (zu Julia) Komm! (zieht Julia weg)
Romeo (zu sich): Waaaas? Sie ist eine Capulet! Oh, shit!
Bevonlio (tritt zu Romeo): Ey, Alter, lass uns abhauen! Tybalt will
Stress machen! (beide gehen)
Julia (zu Wärterin): Wer ist dieser Typ? (zeigt auf Romeo)
Wärterin: Romeo, der einzige Sohn unseres Feindes!
Julia: Waaaas? Shit, warum musste ich mich nur in ihn verlieben?
Wärterin: Hä?
Julia: Ich liebe ihn!
Man ruft Julia.
Wärterin: Komm, lass uns gehen!
Gedichtet von Schülern und Schülerinnen der St. Augustinus-Schule
Find ich cool
Herr Gelbrich
Frau Depping, Frau Schrader
Klassenfahrt
Find ich cool
Pasha
Meine Schwester, meine Familie
Malak, Fadel, Pasha
Find ich cool
Das alles und noch mehr
Find ich cool
Börek, Chicken
Zauberflöte
Musical.ly
Find ich cool
Antalya
Sport, Urlaub
Messi
Find ich cool
Das alles und noch mehr
Find ich cool
Aus den Poetry-Kids-Sommersongs und gesungen von den Kindern im Stadtfeld
Pela, Alina, Fatima, Shahed, Evin, Rima, Ramyah, Dilay, Sahraa, Naseen, Melek und Wahel
Komm, komm, komm, komm
Hier kann man Fußball spielen
Da am Fluss, wo Wasser durchfließt
Und der Wald ist so schön dunkel
Komm, komm, komm, komm mit zum roten Sportplatz
Komm, komm, komm, komm, lass uns Seilbahn fahr‘n
Hier gibt es Äpfel und Kirschen und Zwiebeln
Was für eine schöne Aussicht
Und es ist richtig viel Platz
Komm, komm, komm, komm, wir woll‘n Erdbeeren pflücken
Komm, komm, komm, komm mit zu Dritte Welt
Hier kann man Kuchen machen aus Sand
Und wippen und schaukeln und rutschen
Und der König der Farben sitzt im Elefant
Komm, komm, komm, komm, wir geh‘n auf den Spielplatz
Komm, komm, komm, komm mit auf‘s Karussell
Aus den Poetry-Kids-Sommersongs und gesungen von den Kindern im Stadtfeld
Pela, Alina, Fatima, Shahed, Evin, Rima, Ramyah, Dilay, Sahraa, Naseen, Melek und Wahel
Am Rand der Zeit
….
Wir treffen uns am Rand der Zeit,
am Ende jeder Schuldigkeit,
wo raue Stürme streiten
und unsern Schritt begleiten
Wo Zauber sich erheben
und Wünsche endlos leben.
Wo Geister große Träume weben,
führt mich deine Hand so sanft
auf namenlosen Wegen
….
Christine Raudies
Hätt ich ein Haus
…
Hätt ich ein Haus
dort gäb es jeden Tag genau
so viele Räume wie ich braucht:
Mal dreiunddreißig und mal zwei,
und einen Türknauf hätt es auch.
Und jede Treppenstufe strich
ich in ‘ner andern Farbe dann.
Und jede Schranktür spräche ich
mit ihrem eignen Namen an.
Ein jedes Tischbein wär mein Freund
und gäb mir niemals einen Tritt.
Und müsst ich in den Keller gehn,
es ginge da kein Fürchten mit.
…
Christine Raudies
Ich hab´
Ich hab´
mein Herz
von dir berühren lassen
keine Euphorie – nein
ein sanftes nach-denkliches berühren
eine tiefe Tiefe
eine gleichmäßige Gleichheit
nicht mal ein Lufthauch
ein fließen ohne Strom
eine nie gekannte Ruhe
ein ewiger Augenblick
HEIMAT
Sonja Klima
Sommer
mit seinem dunklen grün
und hellem licht
lautem vogelgezwitscher
frischen gänseblümchen
hummelsummen
schmetterlingsgeflatter
seerosen blüh´n
warmer windhauch
streichelt meine haut
in allen sinnen
GENUSS
Sonja Klima
Nachthimmel
langsam
kommen sie rausgekrochen
im schutz der dunkelheit
die sterne
manch einer
traut sich nicht so recht
seinen glanz preiszugeben
andere strahlen fast heller
als der mond
einer macht ihm konkurrenz
doch ist er noch zu klein
dunkle wolken ziehen
nur kurz vorbei
nicht mächtig
den glanz der sternenklaren
nacht – aufzuhalten
Sonja Klima
Rettende Insel
sobald du
nur an einer einzigen
von tausend Stellen deine
sonst gewohnte Logik
durchbrichst
sobald du
eine tiefergehende Wahrheit
suchst und überall bloß
das Gegenteil
Gegenstück
findest
sobald dir
jedes Bild der Versöhnung
wichtiger erscheint
als dein Recht
oder der Kampf darum
sobald du
für einen Moment
einfach nur still
in dich hineinhorchst
ja, vielleicht sogar hinein
lächelst
und sagen kannst
es ist gut
Jo Köhler
Gepriesen
Ich wollte
ich könnte einfach so
in den Tag hinein
und wieder heraus
leben
völlig nutzlose
Dinge tun und mich
gut dabei fühlen
so gut
wie noch nie
Jo Köhler
Magischer Spruch
Sage dir
ich bin eine Bereicherung
für dieses Haus, für diese Welt
und dann bist du es auch
Sage dir
mein Leben ist eine Fortsetzung
aller Quellen, aller Flüsse in den Ozean
ohne die ihm etwas Kostbares fehlen würde
und dann ist es auch so
Sage dir
ich bin ein Traum, der so noch nie geträumt
und dadurch auch allen anderen Träumen
einen zusätzlichen Sinn gibt
Sage dir
ich bin ein Funken, der so noch nie geschlagen
viele weitere Feuer der Hoffnung entfacht
und wirst du es auch
Sage dir
nein, schwöre dir: mein Vater liebt mich
der göttliche in jedem Fall und dann
ist es auch so
Jo Köhler
Upgrade
stillschweigend
wurzelt mein baum
direkt
im himmel
und hofft damit
endlich
an der richtigen stelle
zu sein
zum ersten mal
weit ab
von wegen
Jo Köhler
Gänsehäutig
ich wünschte
ich könnte
die Geister des Windes
betören, ertasten
und mich nur denen
geschlagen geben
die mein Herz beflügeln
in zarten leichten
Brisen
fortzutragen
wagen
überall hin
an jedes Ende
an jeden Anfang
fort
in jene sagenhafte
Sprache, in der ich noch
alles glaubte, alles hoffte
alles wusste
Jo Köhler
Existenziell
mehr als nur
worte
eine
sprache
eine erinnerung
ein name
der
dich angeht
der
dich berührt
der
dich für wahr
nimmt
dich befreit
dich
hinein
und wieder
hinaus
ruft
ins weite
ins nahe
ins all
gegenwärtige
dahinter
davor
und sogar
dazwischen
Jo Köhler
berufen
am liebsten
durch die Blume
wahrscheinlich
durch alle Blumen
dieser Welt
selbst die
unscheinbarste
manchmal
aber auch
durch einen Esel
oder einen
Affen
warum nicht
und
wenn es gar nicht
anders geht
vielleicht schon
durch
ein fremdes
total zufälliges
Gesicht
auf der Straße
keine Frage
Jo Köhler
Angekommen
Wenn es dir
durch den Kopf
durch
die Hände
oder
durchs Gemüt
streicht
das
Quäntchen
Zeit
das
Quäntchen
Glück
selbst dann
wenn es
in den Wind
geflüstert
nur noch Luft
ist
und längst
etwas anderes
als du
dachtest
als du
hofftest
Jo Köhler
Wallfahrt
die einsame
Kapelle auf dem Berg
der gewundene Pfad
unter Gruß bezeugenden
Bäumen dorthin
die erlösende Aussicht
auf Wiesen und Täler
Berge und Wälder
ein Mann
der mit einem Esel
am Halfter herannaht
was
für ein gefälliges Tier
und gemächlich
vorbeizieht
ist keine Erscheinung
ist wahr
genau wie die
unnachahmliche Stille
sobald die Glocke
Schlag zwölf
wie eine Klangschale
des Himmels
zu tönen beginnt
gefaltet
zumindest im Traum
die Hände – obwohl
eine dunkle Kraft
sie immer wieder
auseinanderzuziehen
versucht
schafft es aber nicht
jetzt nicht mehr
Jo Köhler
heillos
manchmal
habe ich nur wenig
Mut
zu mir selbst
eigentlich – gar keinen
was soll ich dann
bloß anfangen
am besten
die Dinge laufen lassen
Beten
Blumengießen – egal
Hauptsache
ein Stück zurücktreten
aus mir heraus
vielleicht
auf einen Baum klettern
oder über einen Zaun
steigen
einfach raus
aus den Trugbildern
im Kopf
und in den Beinen
eine andere Richtung
nehmen und
ein kleines bisschen
verrückt werden
Jo Köhler
Verstummt
trotzdem es sich
so anfühlt
als würden wir
reden
unsere
Worte auseinander
nehmen
und wieder
neu zusammen
setzen
wie Glieder
von einer zerzausten
Puppe
wie Beats
aus unserem Lied
oder
Steine aus einem
alten Tempel
du sagst – du denkst
ein einziger
Funke
könnte alles
zerstören
stimmt
warum also nicht
fortfahren
mit dem Glück
des arglosen
Weilen
Verharren
Beharren
als wäre das
die Lösung
ist es ja auch
was
Zuversicht gibt
ist die Illusion von
Beständigkeit
als letztes
Ziel – als von uns
selbst ersonnenes
Spiel
Jo Köhler
Naiv
Manchmal
habe ich
Angst
dass du
dich
wieder
blind
in etwas
hineinstürzt
du
überhaupt
nicht
nachdenkst
nicht
hinschaust
was
auf dich
zukommt
und
worauf du
dich
einlässt
andererseits
wie hätten
wir beide
sonst
jemals
zueinander
finden
und
uns lieben
lernen sollen
Jo Köhler
Verschont
das Einzige
was ich
für dich tun kann
ist
dich in Ruhe
zu lassen
dachte
der Bussard
beim Anflug
auf eine verträumt
dasitzende
Feldmaus
oder
war es der Sach
bearbeiter
in der Sozial
behörde
der
mir diese Worte
am Ende
eines Termins
mit auf den Weg
gab
Jo Köhler
Zurückgeblickt
Im Grunde
waren die
Zeiten
am glücklichsten
wo
das Leben
eher
langweilig zu sein
schien
ich
mir selbst
noch
etwas einfallen
lassen
erfinden
musste
um das Vakuum
angestauter
und noch
unangetasteter
Zeit
in
naiven Bildern
zu teilen
Jo Köhler
Erinnerung
Ein Tag im August
Ein einzelnes Wort
Ein Anruf
(Der Himmel)
Fällt herab
Reißt mich, wie ein Tornado, wie ein wind,
Von den Stufen ins kalte Meer,
Weder oben noch unten
Nur Strudel und Wirbel
Salz beißt ins Auge
Und nichts ist wo es war
Vergangen
Mit einem Schlag
Zieht sich das Meer zurück
Zwischen Ruinen und Wüste
Taumelnd und torkelnd
Weit
Denn was bleibt
Bin ich
Anna Abraham
von ende mai bis september
von ende mai bis september
hab ich mein leben verschwendet
bleibt nur zu sagen
dazwischen liegen jahre
Sophie Hausin
Ganz Ohr - Alle LeseZeichen zum Nachhören
Rückmeldungen aus aller Welt
Über facebook bin ich auf das Projekt ‚lesezeichen‘ aufmerksam geworden und war sofort begeistert. Großartig! So ein Projekt würde gut in unsere Kulturlandschaft passen,
Ich finde es großartig, was die Stadt Hildesheim mit dieser Initiative für die Lyrik leistet.
Ich werde Hildesheim einen Besuch abstatten und die Lesezeichen „erwandern“.
Ein wunderbares Projekt!
Die Schüler/innen – sind zu vielen Standorten gegangen, um sich die Gedichte anzuschauen. Die Lesezeichen sind wirklich toll geworden!
Die Lesezeichen sind einfach nur wunderschön und beglückend, ein Geschenk!
Von einem Buchladen bekam ich den Tipp mit den „Lesezeichen“. Diese Art der Lyrik Präsentation könnte in seiner Einmaligkeit unvergleichlich sein.
Auch mich haben die Gedichte – am Bahnhof – berührt, hoch erfreut und an einem Morgen, wie er ungemütlicher kaum sein könnte, herzlich erwärmt: schon dafür einmal 1000 Dank!
Seit gestern sind wir also stolze Träger eines Lesezeichens. Eben erst stand ich mit zwei Mitarbeitern der DB-Sicherheit davor, alle drei lesend, nachdenklich, berührt von den Worten – an diesem Ort.
Es sind Bilder, Worte, die darauf warten, einen Weg mit mir zu gehen. Und jedes Mal sehe ich Neues.
Habe mir gerade die Gedichte angehört – toll gelesen von Uwe Tobias Hieronimi!
Es war sehr schön, die Eröffnungslesung der Lesezeichen im Bahnhof wahrnehmen zu können. Ich habe es sehr genossen, mal wieder Deutsche Lyrik zu hören und zu lesen! Gratulation zu dem Projekt, das weiterhin so Viele wie auch mich inspiriert!!
Hildesheim war bei meinem letzten Besuch nicht nur die bekannte Stadt der Sehenswürdigkeiten und Kunstschätze, sondern wahrlich eine wunderschöne Entdeckungsreise durch die zeitgenössische Lyrik.
Zu diesen einzigartigen Lyrik-Installationen kann man die Stadt Hildesheim nur beglückwünschen. Besser kann man Literatur und vor allem Lyrik im öffentlichen Raum kaum vermitteln.
Mir ist aufgefallen, dass die Orte und Gedichte wirklich auf eine ganz besondere Art zusammen passen. Respekt !
Was für ein tolles Projekt, das Sie in Hildesheim auf die Beine stellen.
Es ist eine große Ehre, so publiziert zu werden.
Wir waren am Sonntag in Hildesheim. Ich war total überrascht und begeistert. Ich möchte Ihnen danken und ein Kompliment machen für die wunderbare Aktion, Literatur den Menschen nahezubringen.
Ein Gedicht habe ich bei der Durchfahrt aus der Bahn gesehen, sofort in mein Handy eingegeben und bei der nächsten Durchfahrt nochmal verglichen;-) Ich wohne in Hannover und habe die Schwiegereltern in Goslar, so fahre ich gelegentlich durch Hildesheim mit dem Zug.
Wir sind durch Zufall auf die wunderbaren Lesezeichen in Hildesheim gestoßen und waren sofort begeistert – und inspiriert. Deshalb haben wir beschlossen, ein ähnliches Projekt ins Leben ins Leben zu rufen.
Ich finde Ihre Aktion hervorragend. Immer wieder bleibt man aus heiterem Himmel stehen und genießt die Gedanken der Autoren.
Am letzten Wochenende war ich in Hildesheim und war ganz bezaubert von den Gedichten, auf die wir immer wieder bei unserem Rundgang durch die Stadt gestoßen sind. Grüße aus der Pfalz
Ich habe mir ein paar Lesezeichen angesehen und bin z.B. im Bahnhof auf sehr positive Resonanz von Reisenden bzw. Passanten gestoßen.
Schon in ganz Hildesheim bin ich auf die Gedichte verschiedener Autoren gestoßen und frage mich nun ob es jedem möglich ist Gedichte einzuschicken und mit Glück auf einer der Tafeln veröffentlicht zu werden.
Ich freue mich für die Lyrik und bin überzeugt, dass Gedichte und das Lesen von Gedichten die Welt, zumindest im Kleinen, etwas friedlicher machen könnte. Herzliche Grüße aus dem Rheinland
Ich habe mir als Ortsunkundige die Hildesheimer Innenstadt erlaufen und die Lesezeichen entdeckt. Sie stehen mitten im Leben, mitten im Trubel und laden zum Innehalten ein. Mir haben diese Spaziergänge von Gedicht zu Gedicht gut getan. Ich wünsche den Lesezeichen viele Leute, die stehen bleiben und sich von den Texten berühren lassen.
So etwas Schönes habe ich noch selten erlebt! Warum? Wegen dieser verschiedenen Cross Over-Situationen.
Literapedia ist ein Projekt des
Förderverein Forum Literaturbüro e.V.
Impressum, Datenschutzerklärung
Vorstand: Jo Köhler, Registerblatt VR 2164
Amtsgericht Hildesheim, Steuernummer 30/216/41964 | Finanzamt Hildesheim