LeseZeichen 2023
Lesezeichen 2023
Mit dem bundesweit einzigartigen Kulturprojekt, das inzwischen als literarisches Wahrzeichen der gesamten Region gilt, holen wir die Kunst des Wortes zwischen verstaubten Buchdeckeln hervor und setzt sie ins Freie, ins Offene – mitten in der Stadt.
150 Gedichtbanner von 32 Dichter*innen aus 7 Nationen: Deutschland, Schweiz, Italien, USA, Russland, Ungarn und Norwegen verwandeln 70 Straßen und Plätze in Orte der Poesie.
Das Motto der Lesezeichen ist diesmal „Wunder der Schöpfung“. Es geht hier nicht um äußere Bilder, sondern um innere Wahrnehmung: denn Lesen ist mehr als eine Kulturtechnik, viel mehr als nur nützlich.
Programm
Grußwort des Landrates des Landkreises Hildesheim Bernd Lynack
Literatur an ungewöhnlichen Orten in der Stadt – die Hildesheimer Lesezeichen verwandeln mit ihren Gedichtinstallationen den öffentlichen Raum in eine Bühne für zeitgenössische sprachliche Kunstwerke. Sie schaffen einen außergewöhnlichen Zugang zur Literatur und setzen poetische Farbtupfer in unseren oftmals nüchternen Alltag. Wenn unsere Blicke an Bushaltestellen, Kirchen, Mauern oder in der Fußgängerzone auf die Texte treffen, halten wir einen Moment inne. Die Gedichte machen uns nachdenklich, zaubern uns ein Lächeln auf die Lippen oder setzen eigene Gedanken frei. Für sechs Monate wandeln wir durch Hildesheim und – in diesem Jahr erstmals auch durch Lampspringe – wie durch ein großformatiges Gedichtband.
150 Gedichtinstallationen mit Texten von 32 Autorinnen und Autoren aus sieben Nationen – mit den Lesezeichen werden wir zu Entdeckern unbekannter Autoren und erweitern unseren literarischen Horizont. Wer sich bislang kaum oder gar nicht mit Poesie beschäftigt hat, dem eröffnen sich hier niederschwellig neue Welten.
Die Hildesheimer Lesezeichen sind ein wunderbarer Weg der Leseförderung und der Literaturvermittlung. Sie setzen unserer Region ein kulturelles Glanzlicht auf. Menschen für Literatur zu begeistern oder ihnen zumindest einen kleinen Einblick in die Poesie zu geben, ist ein großartiges Ziel. Ich danke allen sehr herzlich, die dieses Projekt wieder möglich gemacht haben.
Ihr Bernd Lynack, Landrat
Die Messe der Poesie
Poesie kann überall sein, nicht nur in einem Gedicht, aber auch in einem Gedicht. In der Poesie treffen sich alle Ebenen des Daseins. Das Materielle mit dem Ideellen, das Fassbare mit dem Unfassbaren, das Sagbare mit dem Unsagbaren.
Deshalb initiiert das Forum Literaturbüro in Kooperation mit der St. Andreasgemeinde zum ersten Mal eine Messe mit sechs ausgewählten Lesezeichen-Texten in der St. Andreaskirche.
Ein Novum für Hildesheim!
Mitwirkende Schauspieler: Uwe Tobias Hieronimi
Saxophon: Inken Röhrs
Pastor: Axel Kawalla
Die Messe-Texte
Alle Tage
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfern fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über den Herzen.
Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsicher geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.
Er wird verliehen,
für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.
Ingeborg Bachmann
Älter werden
puhlen, abschälen was mir ein halbes Leben lang
gewachsen war durch Zähne-zusammenbeißen, Stille-sitzen,
Aufbäumen, Ratlos-sein, Verloren-gehen und Meinen
Kopf-riskieren. Der kam mir einfach entgegen, unbekannt,
sagte er wolle helfen, hatte Kröten-Augen und einen
Wortschatz süß wie Kokosflocken, von Charakter
sprach er und Psycho-Sachen. Ich blickte zurück wie
Stahl, behielt meine Schwielen und zog mir ganz eng
den Stein-Mantel um. Er sprach dann andern zu,
von einer hohen Treppe, hatte Lippen wie Fackeln,
die Stimme klebrig. Einige fielen wie Mohnblüten rot
vor seine Füße. Doch ein Leben ist nicht wie Knete
und es gibt Waagen die messen nichts anderes als
Erfahrungen mit Blasen. Gebenedeit sei die Stadt
die Alte hat an denen sich die Jungen die Zähne
ausbeißen können und wo ein knorrig-trockener
Pfahl auf dem Marktplatz steht und Jasmin sich
ranken kann, blühend und leicht und ohne Gedächtnis
als wäre die Welt gerade geboren.
Hans Jorg Stahlschmidt
Dialog
und lass ihn nicht zu viel
von deinen Worten sehen.
Mit Händen auf dem Rücken,
trage ich den Horizont zur Faust geballt.
Ich schweige, weide mich
an meinem Blatt vorm Mund.
Im Stundentakt gibst du mir
deine Risse kund,
die niemand nähte.
Ich jäte Glaubenssätze in mir
und wetze noch ein letztes Mal die Zunge.
Ein Junge sitzt
an deinem Sprachfluss,
schaufelt dir
die brache Erde zu.
Ganz blass gespült hat er
von meinem Herz
die Farbe.
Sigune Schnabel
Preisträgerin Hildesheimer Literaturwettbewerb 2022
entgrenzt
Was
für einen Delphin
das Wasser
und für einen Habicht
die Lüfte
ist mir
das Reisen zwischen
den Zeilen
und wenn ich dann
irgendwann
gestorben bin
werden
meine Träume
wieder zur Brandung
eines Meeres
meine Gedanken
wieder zu Geflüster
oder Aufbrausen
eines Windes
mein Herz
wieder zur Arche
einer Sehnsucht
meine Erinnerung
wieder zu Erde
und Gras
einer Steppe
meine Zweifel
wieder zu Schatten
im Mondlicht
und meine Worte
alle
die ich jemals gebraucht
wieder zu Staub
oder Sand
einer Wüste
und wenn ich dann
darüber weine
dann bloß
weil meine Liebe
so weit geht
weiter
als alles andere
Jo Köhler
Mensch bzw. Dichter
Schneewittchen
Es war einmal eine schöne, aber böse Influencerin, die eine Stieftochter mit Namen Schneewittchen hatte. Als die Influencerin wieder mal live ging, passierte etwas Unerwartetes.
„Wer ist die Schönste auf ganz instagram“ fragte sie wie immer eingebildet, aber heute antworteten ihre Follower: „Du bist schön, aber die Influencerin Schneewittchen ist noch tausendmal schöner!“
Der Stiefmutter erschrak und überlegte, was sie tun konnte. In den nächsten Tagen benutzte sie immer krassere Filter für ihre Selfies, doch nichts half…
Also dachte sich die böse Influencerin einen neuen Plan aus. Sie hackte den Account von Schneewittchen, damit diese nicht mehr im Internet zu finden sei und keiner mehr sagen konnte, dass Schneewittchen tausendmal schöner sei.
Als Schneewittchen sah, dass ihr Account gelöscht worden war, brach für sie eine Welt zusammen: alle ihre Follower waren weg!
Doch schon bald merkte sie, dass sie das alles gar nicht brauchte und führte ein glücklicheres Leben als zuvor.
von Lea und Dennis
Schüler der Augustinus-Schule
Ich glaube
nur eine kleine Weile uns gehört.
Ich glaube – nicht mehr an die alten Lügen,
er wär auch nur ein Menschenleben wert…
Ich glaube – dass den Hungernden zu speisen,
ihm besser dient als noch so kluger Rat…
Ich glaube – Mensch sein und es auch beweisen
das ist viel nützlicher als jede Heldentat…
Ich glaube – diese Welt müsste groß genug
weit genug, reich genug für uns alle sein.
Ich glaube – dieses Leben ist schön genug,
bunt genug, Grund genug sich daran zu erfreuen…
Ich glaube – dass man die erst fragen müsste,
mit deren Blut und Geld man Kriege führt..
Ich glaube – dass man nichts vom Krieg mehr wüßte,
wenn wer ihn will auch am meisten spürt…
Ich glaube – dass die Haut und Ihre Farbe,
den Wert nicht eines Menschen je bestimmt..
Ich glaube – niemand brauchte mehr zu darben,
wenn auch der geben wird, der heut nur nimmt!
Ich glaube – diese Welt müsste groß genug
weit genug, reich genug für uns alle sein.
Ich glaube – dieses Leben ist schön genug,
bunt genug, Grund genug sich daran zu erfreuen…
Udo Jürgens
Das Fazit
Die Rezitation einer so hochkarätigen Stimme wie die von Uwe Tobias Hieronimi und das Saxophonspiel waren einfach großartig, auch die Auswahl der Stücke, mit denen die Saxophonistin Bezug genommen hat auf die vorgetragenen Texte und nicht zuletzt die Performance, mit der sie sich durch den Altarraum bewegt hat, hat für Gänsehautmomente gesorgt und nicht nur für sich selbst gesprochen, sondern sich zugleich auf fulminante Weise eingefügt in ein Gesamtkunstwerk.
Ja, Sie haben Recht, es war wirklich berührend:
Die Texte in diesem Vortrag und die Musik
und dass aus beidem etwas Gemeinsames werden konnte.
Auch Ihre Ansprache war einfühlsam und an wichtigen Stellen ein klares Wort – vielen Dank dafür!
Das war möglich, aber nicht ganz planbar;
deshalb bin ich dankbar nach diesem Abend gestern.
Die Workshops
Fazit zu den LeseZeichen-Workshops
Die Folgeschäden bei vielen Kindern und Jugendlichen durch die Corona-Pandemie sind noch immer eklatant. Ganz abgesehen von dem verstörenden Alltag, den viele Kids im Internet und im Klassenchat erleben. Die meisten Erwachsenen haben keine Ahnung, womit die Kinder dort an rassistischen Botschaften, Bildern von Kriegsverbrechen oder sexualisierter Gewalt konfrontiert sind.
Umso mehr werden Projekte wie diese gebraucht, die mit schöpferischen Mitteln Wege aufzeigen, damit umzugehen. Wir entschließen uns in Zukunft noch früher – also zum Beispiel schon in Kita und Grundschule – mit Kulturformaten dieser Art anzusetzen.
Workshop-Leitung Christine Raudies
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